Bielefeld. Schon elf Jahre lang steht sie als leitende Geistliche für die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW), seit November 2021 ist Annette Kurschus zudem die oberste Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Am 14. Februar begeht die reformierte Theologin ihren 60. Geburtstag.
Auch wenn ihre zahlreichen Termine und Verpflichtungen die EKD-Ratsvorsitzende in unterschiedlichste Regionen führen, ist ihr Fokus ganz bewusst in Westfalen geblieben, wo sie im November 2011 als erste Frau ins Präsesamt der Landeskirche gewählt worden war. So wird Annette Kurschus auch ihren besonderen Geburtstag in Bielefeld begehen – ihr Ehrentag beginnt, wie jeder Dienstag der Woche, mit einer Hausandacht und einer anschließenden Sitzung des Kollegiums im Landeskirchenamt.
Die Präses nutze ihr Amt als Geistliche, um Theologie in Gestalt geistlicher Rede öffentlich zu machen, sagte der Münsteraner Theologie-Professor Traugott Roser anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Münster, die Kurschus im Jahr 2019 zuteil wurde. Sie mahne „ohne Besserwisserei“, trage geistliche Perspektiven in Politik und Gesellschaft ein und stärke so die Relevanz des Christentums.
Annette Kurschus gilt als charismatische Theologin und begnadete Rednerin. Das stellte sie nicht zuletzt bei der Tagung der EKD-Synode im vergangenen November unter Beweis, wo sie mit ihrem ersten Ratsbericht nach ihrer Wahl im Jahr zuvor die Delegierten zu Standing Ovations brachte. "Mit ihren brillanten Predigten und Andachten berührt sie immer wieder viele Menschen, mich eingeschlossen", sagt ihr Vorgänger im EKD-Ratsvorsitz, der bayrische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, über die westfälische Präses.
Kurschus wurde in Rotenburg an der Fulda geboren und wuchs im hessischen Obersuhl und in Siegen auf, wo sie auch 12 Jahre lang als Gemeindepfarrerin und anschließend als Superintendentin wirkte. Nach dem Abitur hatte sie zunächst ein Medizinstudium aufgenommen, die Nähe zu Theologie und Kirche ließ sie, die Tochter eines Pfarrers, aber sehr bald zum Studium der evangelischen Theologie wechseln, das sie in Bonn, Marburg, Münster und Wuppertal absolvierte.
Neben ihrer außergewöhnlichen Gabe zu predigen stellt die Theologin in ihren unterschiedlichen Ämtern und Funktionen – ehrenamtlich ist Kurschus unter anderem Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bibelgesellschaft, Mitherausgeberin des evangelischen Magazins „chrismon“ und der evangelischen Monatszeitschrift „zeitzeichen“ sowie Mitglied im Kuratorium der Hochschule für Musik in Detmold - auch ihre Fähigkeit in der Gestaltung und Moderation von Prozessen unter Beweis.
Als Präses und Ratsvorsitzende meldet sich Annette Kurschus stets auch in gesellschaftlichen und politischen Debatten zu Wort. Dabei achtet sie darauf, dass ihre Beiträge „erkennbar im Evangelium gegründet“ sind. Dann, so die Theologin, dürfe Kirche gelegentlich auch sperrig sein und auf Differenziertheit bestehen. Meist gebe es keine einfachen Rezepte zur Lösung von Problemen, daher komme man um eine mühsame Reflexion nicht herum, ist Kurschus überzeugt. „Viele möchten – weil sie schwer aushalten, dass alles so kompliziert ist – gern einfache und klare Antworten, am besten im Ja-Nein-Schema. Ich mache da nicht mit“, so die Präses in einem Beitrag zum Antikriegstag im vergangenen Jahr.
Gleichwohl ist Annette Kurschus davon überzeugt, dass es unerlässlich ist, sich immer wieder zu Wort zu melden. „Die Kirchen tragen den Ton der Verheißung in die Welt. Der speist sich aus der Zusage Gottes: Es kann und es wird gut werden“, sagt die leitende Geistliche. „Wir haben einen Ton in das Leben einzutragen, den sonst niemand einträgt. Diesen Ton dürfen und werden wir der Welt nicht schuldig bleiben.“
Wenn sie sich nicht in einer ihrer zahlreichen öffentlichen Aufgaben engagiert, entspannt die unverheiratete Theologin gern im Kreis ihrer Familie. Eine besondere Leidenschaft gilt zudem der Musik. Annette Kurschus blickt auf langjährige Erfahrung als Chorsängerin zurück. Und wenn es Zeit und Muße erlauben, holt sie zuweilen ihr Cello hervor, das sie seit ihrer Jugendzeit begleitet. (ekvw)