Der Beckhof - ein Haus der Befreiten

Verschiedene Liturgien, Gottesdienste und eine Festversammlung erinnerten an 60 gelebte Jahre in der Beckhofsiedlung

Neuer Glockenturm: Seit 2017 baut die russisch-orthodoxe Gemeinde an ihrem Schmuckstück. Vor ihm versammelten sich Küster Johannes Stejsel, Velinka Tucakov, Vorstand der serbisch-orthoxen Gemeinde, Lektor Alex Thiessen, Priester Dimitry Isaew, Kassenwartin Larissa Thiessen, Bethel-Ortschaftsreferent Egmund Geißler, Diakon Artur Herrmann, Dr. Johanna Will-Armstrong, Vorstand Bethel-Stiftung und der frühere Pfarrer der Beckhofgemeinde, Harald Mallas. Foto: CG

Großer Tag: Über 40 Jahren tat der heute 83-jährige Diakon Arthur Herrmann seinen Dienst im Beckhof. Als Ehrengast saß Herrmann neben Priester Dimitry an der Ehrentafel im Festsaal der russisch-orthodoxen Gemeinde. Foto: CG

SENNESTADT – Die UNO und das Land NRW unterstützten 1958 den Plan Bethels, eine Siedlung für „displaced persons" zu bauen. In 50 Wohnungen, je einem Alten- und Wohnheim sowie einer beschützten Werkstatt fanden Esten, Letten, Litauer, Polen, Russen, Serben und Ukrainer eine neue Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses mutige Integrationsprojekt war der Anlass für eine bewegende Feier am 16. Sonntag nach Trinitatis.

Nach Liturgien der russisch- und serbisch-orthodoxen Gemeinden und einem evangelischen Festgottesdienst in der Beckhofkirche zeigte sich die herzliche Einigkeit gläubiger Christen in einer Festversammlung in den Räumen der russisch-orthodoxen Kirche. Im Untergeschoss der früheren Beckhof-Kantine feierten mehr als 200 junge und alte Menschen an mit russischer Oppulenz gedeckten langen Tischen und ließen in bewegenden Bildern die Geschichte für ein „einmaliges Beispiel ökumenischer Gemeinschaft", so der 83-jährige Diakon Artur Herrmann, Revue passieren.
In ihrer Festpredigt erinnerte Pfarrerin Dr. Johanna Will-Armstrong, Mitglied des Vorstandes der v. Bodelschwingh'schen Stiftungen, an die vielen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten. „Seit den 50er Jahren gab es Verbindungen zwischen dem Lager in Augustdorf und Bethel", so Will-Armstrong. Nachdem Bethel das Grundstück um den Beckhof – datiert aus dem Jahr 1782 – zur Verfügung gestellt hatte, fand die Grundsteinlegung für die Beckhofsiedlung am 25. Juli 1957 statt. Will-Armstrong beschrieb die Beckhofgeschichte als eine Befreiungsgeschichte für Frauen und Männer, die ohne Perspektive waren und im Beckhof eine neue Zukunft fanden.
Anhand des Predigttextes aus der Apostelgeschichte, Kap. 12, Tod des Jakobus und die Gefangennahme Petrus, vermutete die Theologin, dass Menschen sich Wunder wünschen, obwohl die Welt so wunderlos scheine. Aber der "Glaube an Unerwartetes" zeige sich in der Sehnsucht der Urgemeinde, die in auswegloser Lage Wunder herbei betete. Nach Karl Barths These, wonach "Engel unser Leben berühren wie eine Tangente", rief Will-Armstrong dazu auf, sich heute von diesen Befreiungsgeschichten ansprechen zu lassen, füreinander einzustehen, auch wenn es unmöglich erscheine. Das Gebet und die Engel als Boten Gottes können auch das Unmögliche geschehen lassen, Traumatisierte anrühren und Solidarität zum Maßstab machen. So sei der Beckhof zu einem "Haus der Befreiten" geworden.
Spätestens seit dem Brand der Werkstatt 1999 hat sich in der Struktur der Beckhofsiedlung vieles verändert. Durch die Entscheidung, die neue Werkstatt in Sieker zu bauen, sowie den Tod oder Wegzug ehemaliger Bewohner hat sich das einst gelingende Vorbild für Integration verändert. Neue Strukturen haben sich emanzipiert: Beckhofkirche und das ökumenische Gemeindehaus sind in den Besitz der Serbisch-orthodoxen Kirche übergegangen. Trotzdem haben Christen aus dem Baltikum und evangelische Christen weiterhin ihren Ort. Das leuchtenste Beispiel der Veränderungen strahlt seit 2017 über dem Rest der Beckhofsiedlung: der Glockenturm der russisch-orthodoxen Kirche, die vor etwa zehn Jahren die frühere "Kantine" übernommen und zum Gemeindezentrum ausgebaut hat.
Auf die aktuellen Herausforderungen einer neuen Integration von Flüchtlingen befragt, sagte Will-Armstrong, dass sich Bethel im gesamten Stiftungsbereich von Berlin bis ins Ruhrgebiet engagiert. „Wir unterstützen die Aufnahme von Flüchtlingen seit 2015. Es wurden eigene Schulklassen eingerichtet, wie etwa am Kerschensteiner-Berufskolleg. Besonders junge Mütter mit ihren Kindern und minderjährige unbegleitet Flüchtende stehen im Fokus des Engagements", so die Vorstandsfrau. Darüber hinaus gebe es intensive Zusammenarbeit mit der VEM innerhalb der innerafrikanischen Flüchtlingsbewegungen, so Will-Armstrong.         (CG)