Der goldene Riss

Liebe Leserinnen und Leser!

Frank Schneider

Wie ein Riss schlängelt sich ein schmaler, goldfarbener Streifen durch den Gehweg auf dem Berliner Breitscheidplatz. Der Riss erinnert an die islamistische Terrortat des Amis Amri, der vor einem Jahr kurz vor Weihnachten mit einem LKW auf den Weihnachtsmarkt gerast ist und dabei Menschen getötet und verletzt hat.

Alle kennen den Namen des Täters. Jetzt bei der Erinnerungsfeier wurden auch die Namen der Opfer genannt und sind in die Stufen vor der Gedächtniskirche eingraviert. Ein goldener Riss im Gehweg symbolisiert die tiefe Wunde, die das Attentat am Berliner Breitscheidplatz im Leben der Betroffenen hinterlassen hat.

Auch in diesem Jahr findet dort wieder der Weihnachtsmarkt statt. Er wurde nur kurz unterbrochen für den Tag des Gedenkens. Stille statt lärmender Musik. Der Schrecken des Lebens trifft auf deutsche Weihnachtsgemütlichkeit. Nein, die Zeit heilt leider nicht alle Wunden. Narben bleiben. Es bleibt ein Riss. Der Riss steht für die Verletzlichkeit des Lebens.

Aber ein goldener Riss. In Japan gibt es die Tradition des „Kintsugi“. Eine wertvolle Teeschale, die in Scherben zerbrochen ist, wird mit sichtbaren goldenen Rissen wieder zusammengefügt. Das Zerbrochene bleibt erkennbar, aber es entsteht etwas Neues. Auch das fragmentarische Leben ist ansehnlich.

Als Christen feiern wir das an Weihnachten. Gott kommt nicht in einem Palast, sondern in einer „Bruchbude“, einem Stall zur Welt. Die Würde des Menschen besteht nicht in seiner Ganzheit und Vollkommenheit, sondern in seiner Unvollkommenheit, Schwäche und Verletzlichkeit.

Der Riss bleibt. Aber die Geburt Jesu in Bethlehem ist ein bleibendes Zeichen dafür, dass Gott die Hoffnung mit dieser Welt niemals aufgibt. 

Durch die Risse des Lebens schimmert das Licht Gottes.
Gott liebt diese Welt – und schenkt ihr ein Kind. Gott in einem schutzlosen, verletzlichen Kind,
Das dürfen an Weihnachten feiern: fröhlich und nachdenklich, traurig und glücklich.

Gesegnete Festtage wünscht Ihnen
Pfarrer Frank Schneider
Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Gütersloh