Liebe Leserinnen und Leser!
Weihnachten ist das Fest der Lebenden und der Toten. So wie es Reinold Beckmann, der Sportjournalist, in seinem Buch „Aenne und ihre Brüder“ erzählt. Er schildert die Lebensgeschichte seiner Mutter, deren vier Brüder alle im 2. Weltkrieg gefallen sind.
Im Buch heißt es: „Normalerweise kommen Onkel an Feiertagen zu Besuch, meine vier Onkel kamen immer im Schuhkarton.“ Denn darin lagen die Briefe, die die Brüder von der Front an ihre Schwester schickten. Aufgrund der Zensur konnten sie nur in Andeutungen von den Schrecken des Krieges berichten.
Mit den alten Briefen aus dem Schuhkarton saßen die vier Onkel gedanklich bei ihnen zu Weihnachten mit am Tisch, erzählt Beckmann. Seine Mutter konnte nicht anders und dann sind Tränen geflossen. Die verstorbenen Brüder waren immer präsent, die Mutter wollte durch das Erzählen ihre Lieben lebendig halten. „So viel ungelebtes Leben. Auf den Schlachtfeldern wohnt kein Gott.“, so bilanziert Beckmann.
In seinem Bild „Friedensnacht an der Front“ malt der Künstler Pedro Alves Filho die Krippenszenerie mitten in den Krieg hinein: Ein Soldat mit einem Patronengurt blickt auf das neugeborene Jesuskind. Ein Teelicht leuchtet davor. In den Händen hält er eine Friedenstaube. Lichtstrahlen erhellen die Krippenszene und den Soldaten.
Das Bild nimmt Bezug auf den „Weihnachtsfrieden“ im 1. Weltkrieg: Weihnachten 1914 stellten tausende deutsche und britische Soldaten an der Westfront in Frankreich und Belgien das Kämpfen ein. Sie trafen sich im Niemandsland und feierten mitten im Krieg Weihnachten – mit Geschenketausch, Weihnachtssingen und sogar von Fußballspielen wurde berichtet.
Der Weihnachtsfrieden hatte nicht lange Bestand. Über eine Million Soldaten wurden im 1. Weltkrieg getötet. Die aktuelle Verfilmung des Buches von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ erzählt in erschreckenden Bildern davon.
An Weihnachten wird uns besonders deutlich, wo unsere Welt nicht heil ist. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt,“ schreibt der Liederdichter Jochen Klepper.
An Weihnachten erinnern wir uns daran: Gott nimmt Wohnung unter uns. In der Bibel bedeutet Erinnerung auch Vergegenwärtigung: Was damals geschehen ist, geschieht auch jetzt. Weihnachten erzählt nicht davon, dass die Welt heil ist. Es erzählt davon, dass der Heiland in der Welt ist. Als Gotteskind in der Krippe, als Licht der Welt.
Ja, Weihnachten ist das Fest der Lebenden und der Toten. Wir erinnern uns an Menschen, die nicht mehr unter uns und doch ganz nahe bei uns sind. Wir spüren schmerzhaft den Verlust.
Aber das göttliche Licht ist in der Welt – allem Tod, allem Terror, aller Gewalt zum Trotz: So hat Gott die Welt geliebt. Gott nimmt Wohnung unter uns. Für Jesus ist Platz in den Räumen der Freude, aber auch im dunklen Zimmer der Trauer und der Einsamkeit: „Er will im Dunklen wohnen und hat es doch erhellt.“
Eine lichtvolle Liebe, die Leiden und Tod in Leben verwandelt. Wir sind geliebt. Nicht verloren. Sondern gerettet.
So grüße ich alle zum Weihnachtsfest 2023.
Bleiben Sie behütet.
Pfarrer Frank Schneider,
Superintendent des Ev. Kirchenkreises Gütersloh