Der russische Angriffskrieg und seine Folgen

Andreas Zumach im Gespräch

Gütersloh. Der bundesweit bekannte Journalist Andreas Zumach folgte am 15. März einer Einladung verschiedener Gruppen in den Lukas-Saal der Gütersloher Johanneskirche (Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh, Friedensinitiative Gütersloh, Attac Regionalgruppe Gütersloh, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen Gütersloh / OWL). Zumach informierte rund 50 Teilnehmende über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Schwerpunkte waren die Entstehung des Krieges, die Folgen und mögliche Szenarien, den Krieg zu beenden. Im Vorfeld führte Dr. Gunnar Waesch, Umweltreferent des Evangelischen Kirchenkreises Gütersloh, ein Gespräch mit Andreas Zumach.

Waesch: Als Umweltreferent und Biologe interessiert mich zunächst, wie Sie die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Umwelt einschätzen. Angesichts der vielen Todesopfer erscheint dieser Aspekt zunächst zweitrangig, wir müssen aber auch die lokalen und globalen Auswirkungen auf die Umwelt und somit auch auf die Menschen näher betrachten. Über die Gefahren für die Atomkraftwerke wird bereits viel berichtet, welche weiteren Folgen sehen Sie?

Zumach: Zuerst möchte ich betonen, dass die Schuld für diesen brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg einzig bei Russland liegt und keinesfalls mit Völkerrechtsverstößen westlicher Staaten relativiert werden darf. Und auch die Auswirkungen auf die Umwelt hat Russland allein zu verantworten. Sie sind in vielfacher Hinsicht schlimm: Die Pariser Klimaziele werden um viele Jahre zurückgeworfen. Es wird sehr viel Geld für den Krieg ausgegeben und gleichzeitig steigen die Ausgaben für Energie stark an. Dieses Geld fehlt für den Umstieg auf erneuerbare Energien: Das sind große Summen. Durch die Sprengung von North Stream werden wir bis auf weiteres ohnehin kein russisches Gas mehr bekommen können. Vielleicht ist aber genau das auch eine Chance für eine ökologische und nachhaltige Energiewende bei uns. 

Waesch: Die Evangelische Kirche hat auch ambitionierte Klimaschutzziele, das Wort Chance lässt mich in diesem Zusammenhang daher aufhorchen - ich bin gespannt auf Ihre Vorstellungen!

Zumach: Ich habe dazu folgende Utopie für die Zukunft: Ich hoffe, dass nach Beendigung des Krieges eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland möglich ist. Ich möchte nicht von einer Friedensordnung sprechen, vielmehr von einer friedlichen Nachbarschaft. Dann könnte so genannter Grüner Wasserstoff im windreichen Sibirien mit Windenergie produziert und in das bestehende Leitungsnetz für Erdgas eingespeist werden. Im südlichen Russland würde Strom aus Photovoltaik dazu Potential bieten. Das wäre eine Chance für Russland, aus der Abhängigkeit der fossilen Brennstoffe zu kommen und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. 80 Prozent der russischen Wirtschaft sind aktuell von fossilen Brennstoffen abhängig. Russland könnte also Grünen Wasserstoff exportieren und für den Eigenverbrauch nutzen: Für den Klimaschutz wäre das ein riesiger Fortschritt im Gegensatz zum Fracking-Gas, das jetzt eingesetzt wird.

Waesch: Viele Menschen sind sehr beunruhigt wegen des russischen Angriffskrieges und wünschen sich einen gerechten, baldigen Frieden für die Ukraine. Welche Perspektive sehen Sie für die von Ihnen genannte friedliche Nachbarschaft?

Zumach: Natürlich ist die Lage sehr komplex und schwierig: Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht, trotzdem muss alles getan werden, um eine gerechte Friedenslösung zu erreichen. Staaten wie Indien, China und Südafrika, die sich bislang bei UN-Abstimmungen zur Verurteilung Russlands enthalten haben, sehe ich in einer besonderen Rolle. Gemeinsam mit UN-Generalsekretär António Guterres könnten sie ihren Einfluss auf Russland bzw. Putin geltend machen. Als zukünftiger Exportweltmeister hat China großes Interesse an einem Dialog mit dem Westen und funktionierenden Märkten und Handelsketten. All das ist nur bei einer gerechten Friedenslösung dauerhaft gesichert. Die westlichen Staaten sollten gleichzeitig ihren Einfluss auf die Ukraine geltend machen, in Verhandlungen zu treten. Und natürlich muss es einen gerechten Frieden für die Ukraine geben.

Waesch: Anzustreben wäre doch eine weltweite Friedensordnung, denn dieser Krieg ist leider nicht der einzige völkerrechtswidrige Konflikt der letzten Jahrzehnte.

Zumach: Ein wichtiger Punkt, ich denke da spontan an den Irak-Krieg von 2003 mit etwa 750.000 Toten. Hier gelten aktuell bei der Bundesregierung leider doppelte Standards: Während der russische Angriffskrieg zu Recht eindeutig verurteilt wird, ist das bei anderen Konflikten oftmals nicht der Fall. Das wird in der Welt sehr genau wahrgenommen und ist auch ein entscheidender Grund dafür, warum bei der letzten UN-Resolution nur 141 von 193 Staaten den Krieg verurteilten, andere Länder sich aber enthielten oder gegen die Resolution stimmten. Das müssen unsere Politiker zukünftig besser machen, um glaubwürdiger zu werden. Ich sehe ein großes Problem darin, dass das Völkerrecht in den letzten Jahrzehnten auch durch westliche Staaten immer wieder gebrochen und somit ausgehöhlt wurde, was zu seiner Schwächung führte. Aber nochmal: Das ist keinesfalls eine Relativierung der russischen Schuld an diesem Krieg!

Waesch: Dann hoffen wir gemeinsam auf friedlichere Zeiten. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

Zur Person: Andreas Zumach, Jahrgang 1954, Berlin; Journalist und Buchautor; 1988-2022 UNO-Korrespondent in Genf für die „taz“ und zahlreiche andere Medien. In den 1980er Jahren war er Organisator der Bonner Friedensdemonstrationen und Sprecher des bundesweiten Koordinationsausschusses der Friedensbewegung. Für seine Arbeit wurde er 2009 mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet.