EU-Freihandel mit Südamerika und Folgen für die Landwirtschaft

Referentin fordert Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien

Kirchenkreis Gütersloh. Die Gesellschaft und auch die Landwirte selbst wollen besseren Klimaschutz, mehr Biodiversität, mehr Tierwohl und hohe Produktqualität – zugleich sollen Bauern ihre Produkte möglichst billig liefern. Die Kredite für die erforderlichen teuren Investitionen belasten das Einkommen der Landwirte. Das hat schon viele zur Aufgabe gezwungen. Berit Thomsen ist Referentin für Internationalen Agrarhandel bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und kennt das Dilemma. Sie sprach im Haus der Begegnung in Gütersloh über die weitreichenden Auswirkungen des sogenannten Mercosur-Abkommens für die heimische Landwirtschaft. MÖWe-Regionalpfarrerin Kirsten Potz hatte zu der Veranstaltung eingeladen, weil das Thema in den Partnerkirchen auf beiden Seiten des Atlantiks virulent ist und Christ*innen ihre Verantwortung für Mensch und Umwelt wahrnehmen wollen.
Seit 20 Jahren verhandelt die EU mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Damit soll die weltweit größte Freihandelszone entstehen, mit über 770 Millionen Einwohnern (EU 512 Millionen / MERCOSUR 260 Millionen). Europäische Unternehmen werden dadurch Zölle im Wert von vier Milliarden Euro pro Jahr sparen. Das Abkommen wirft Fragen auf: Wie passt die Forderung nach fairen Erzeugerpreisen damit zusammen? Was für einen Außenhandel brauchen wir, damit ein Umbau in der Landwirtschaft möglich wird?
Die Komplexität des Themas und die Schwierigkeiten im System machte Thomsen am Beispiel Milch deutlich. Seit Jahren erwirtschaften Milch-Erzeuger damit ein Defizit: Im ersten Quartal 2021 lag die Differenz bei 30 Prozent. Einfach aussteigen geht für die Bauern nicht – sie haben teuer investiert in Ställe und Maschinen. Die DMK, größte deutsche Molkerei, zahlt zurzeit 30 Ct. Pro Kilo. Nur billige Milch hat eine Chance auf dem Weltmarkt. Brasilianische Bauern können bei dem Preisdruck nicht mithalten – dadurch öffnet sich der brasilianische Markt für deutsches Milchpulver und Käse, was im Gegenzug den deutschen Markt für Rindfleisch und Soja aus Südamerika geöffnet hat. Durch das Mercosur-Abkommen, durch das über 90 Prozent der Zölle wegfallen, verstärkt sich dieser Trend enorm. „Die Mehreinnahmen aus dem Export werden wie bisher nicht auf den Höfen ankommen.“, prognostiziert Thomsen. „Wir Erzeuger sind das schwächste Glied in der Lieferkette“, unterstrich ein Zuhörer.
Umgekehrt ist südamerikanisches Schweinefleisch für deutsche Verbraucher völlig überflüssig. In Deutschland wird bereits jetzt mehr produziert als der Markt nachfragt. Aktuell macht ein Erzeuger 50 Euro pro Schwein Verlust, so Thomsen. Schweinefleisch ist aber eine wichtige Exportware für den wachsenden chinesischen Markt. In der Logik des Wirtschaftssystems müssen auch gesättigte deutsche Märkte öffnen sein, um in anderen Bereichen weiter exportieren zu können und Abnehmer vor allem für Autos, Autoteile, Maschinen, Kleidung und Medikamente zu finden. Thomsen forderte daher eine ausgeglichene Bilanz von Im- und Export als ist das Ziel und nicht, Exportweltmeister zu sein. 
Die AbL-Vertreterin lenkte den Blick auf die Schwachpunkte, die ihrer Meinung nach dringend vor Unterzeichnung der Verträge bearbeitet werden müssen. Sie fordert einen Marktzugang, der sich an sozialen und ökologischen Kriterien orientiert. „Unsere Vision ist die Ernährungssouveränität.“ Menschen sollten selbst bestimmen können, wie sie sich ernähren wollten. Das umfasse vielfältige Anbaumethoden, gerechte und gesunde Arbeitsbedingungen und den fairen Zugang zu natürlichen Ressourcen weltweit. „Dafür muss sich die Zivilgesellschaft zusammentun und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen einfordern“, betonte Thomsen und ermutigte die Teilnehmer*innen, Briefe an ihre EU-Abgeordneten zu schreiben.
Kirsten Potz, die in der Ev. Kirche von Westfalen zuständig ist für die Kontakte zur Ev. Kirche am La Plata, reicherte den Vortrag mit Beispielen aus Südamerika an. Auch die Gäste erwiesen sich im anschließenden Gespräch als kundig und engagiert. 
Am Ende der engagierten und facettenreichen Diskussion war man sich einig: Die Verträge werden negative Folgen für Mensch und Natur auf beiden Kontinenten haben. Zum Schluss ermutigte Thomsen: „Dran bleiben! Öffentlicher Druck kann viel bewirken.“     Kirsten Potz