„Gott ist kein Lückenbüßer“

Wolfgang Huber eröffnete Veranstaltungsreihe über „Reformation und Politik“

Wolfgang Huber sprach in der Gütersloher Martin-Luther-Kirche. Foto: Kerstin Jacobsen

Gütersloh. „Wir sollten mutiger reden und beherzter handeln“, sagte Professor Dr. Wolfgang Huber. Mit einem Vortrag über „Reformation und Politik“ eröffnete er in der Gütersloher Martin-Luther-Kirche eine Veranstaltungsreihe des Evangelischen Kirchenkreises und der Evangelischen Kirchengemeinde Gütersloh zum gleichnamigen Themenjahr 2014 der Lutherdekade. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland folgte der Einladung seines Freundes Professor Dr. Rolf Wischnath.

 

In Deutschland, so Huber, stehe die – evangelische wie katholische – Kirche heute „zwischen Krise und Erwartung“. Seit 1968 sei die Kirchenbindung deutlich gesunken, mittlerweile gehöre rund ein Drittel der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft an. Weltweit jedoch wachse das Interesse an Glauben und Religion. Besonders in Krisensituationen sei die Kirche gefragt, „Orientierung zu geben, den Weg zu weisen und ein erlösendes Wort zu sprechen.“ Aber, so Huber: „Passt auf! Macht die Kirche nicht zur Bundesagentur für Werte, das ist sie nämlich nicht!“

 

Unter dem Stichwort „Mündigkeit und Macht“ erläuterte Huber, wie Dietrich Bonhoeffer seine politische Verantwortung als Christ während der nationalsozialistischen Diktatur verstand. Als die neue Herrschaft 1933 mit einem ersten Sturm auf jüdische Geschäfte, Ausschluss der Juden aus dem Beamtenstatus und Bücherverbrennungen ihren Geist demonstrierte, habe sich der Theologe zur „Pflicht jedes Christen und der Kirche zum Widerstand“ bekannt: „Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“ Aus den sicheren USA sei Bonhoeffer nach Deutschland zurückgekehrt, um die Alliierten durch seine ökumenischen Kontakte über den Widerstand zu informieren. Im April 1945 wurde er auf persönlichen Befehlt Adolf Hitlers hingerichtet. Bonhoeffer habe Glaube und Politik unterschieden, ohne sie auseinander zu reißen. Er sei überzeugt gewesen: „Gott ist kein Lückenbüßer, der löst, wofür wir die Verantwortung haben.“ Bonhoeffers Beispiel habe Christen weltweit ermutigt, Diktaturen Widerstand zu leisten, so etwa in Südafrika und in der DDR.

 

Seit den 1980er Jahren lässt sich laut Huber das politische Engagement der Kirche unter die Stickworte „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ fassen. Die Perspektive der Leidenden einzunehmen, liege genau auf Bonhoeffers Linie. Beim zentralen Thema Frieden sei es heute fraglicher denn je, ob dieser durch den Einsatz von Waffen zu erreichen sei. Die Tatsache, dass heute fast eine Milliarde Menschen hungern, fordere auch die Kirche hierzulande heraus.

 

Aus dem Publikum kamen einige Rückfragen. Was Huber zum Käßmann-Zitat „Nichts ist gut in Afghanistan“ sage? Schon vor zehn Jahren sei die Hoffnung auf eine militärische Lösung sehr ungewiss gewesen, räumte der ein. „Aber was wäre die Alternative gewesen? Tatenlos zusehen? Wenn nichts gut ist, kann uns das doch nicht egal sein!“ Auf die Frage, ob Parteien das richtige Instrument seien, christliche Ziele durchzusetzen, warb Huber, der bis zu seiner Bischofswahl selbst Parteimitglied war, dafür, sich politisch zu engagieren: „Kirche ist Teil der Zivilgesellschaft. Und die Demokratie ist unter den schlechten Staatsformen nun einmal die beste.“

kj