Im Geist der Liebe

Gastpredigten: Dr. Martin Dutzmann setzt reformatorische Impulse für die Sozialpolitik

"Wie wird unsere Gesellschaft gerechter?", fragten Thorsten Maruschke (l.) und Dr. Martin Dutzmann. Foto: Kerstin Jacobsen

Herzebrock-Clarholz. „Wie wird unsere Gesellschaft gerechter?“ Um keine geringere Frage ging es am vergangenen Sonntagmorgen in den evangelischen Gottesdiensten der Gnadenkirche Clarholz und der Kreuzkirche Herzebrock. Auf Einladung von Pfarrer Thorsten Maruschke war Gastprediger Prälat Dr. Martin Dutzmann eigens aus Berlin angereist. Der ehemalige Landessuperintendent der lippischen Landeskirche ist Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union.

 

„Wenn das soziale Netz zu reißen droht“, so Dutzmann, „sind Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Weitblick wichtig.“ Das habe bereits Martin Luther gewusst, als er 1523 das Vorwort zur „Leisniger Kastenordnung“ schrieb. Diese regelte nicht nur den Umgang mit der Gemeindekasse in der sächsischen Stadt Leisnig, sondern darüber hinaus auch das Sozialleben.

 

Als im Zuge der Reformation Klöster und Stifte geschlossen wurden, seien soziale Probleme aufgetreten: Was sollte mit den Klostergütern geschehen, was mit den Menschen, die dort versorgt wurden? Laut Dutzmann sah Luther die Obrigkeit in der Pflicht, mit der Einrichtung eines „gemeinen Kastens“ für Gerechtigkeit zu sorgen. Daraus sollten etwa ehemalige Mönchen und Nonnen eine Starthilfe erhalten, „damit sie sich in einen neuen Stand begeben können“. Arbeitsunfähige Bedürftige seien - unabhängig von ihrer Herkunft - ebenfalls zu versorgen. Die städtischen Bettelklöster wollte Luther in Schulen umwandeln. Selbst an die Rückzahlung von Geldern an verarmte Nachkommen ehemaliger Stifter habe er gedacht, damit man „Kindern und Erben das Brot nicht aus dem Maul nehme”. Die Aktualität dieser Überlegungen zeige sich an der heutigen Diskussion der Mütter-Rente.

 

Hilfe zur Selbsthilfe, Bedürftigkeit als alleiniges Kriterium für Sozialleistungen, Bildungspolitik und Generationengerechtigkeit – mit dem laut Dutzmann „ältesten Sozialworts der Reformation“ habe Martin Luther „deutliche sozialpolitische Spuren“ gelegt, die bis heute wegweisend seien. Die Gefahr des Missbrauchs von Sozialleistungen habe der Reformator nach dem Grundsatz „Nun ist kein größer Gottesdienst denn christliche Liebe“ bewusst in Kauf genommen. Dutzmann: „Solche Gelassenheit würde ich mir heute wünschen.“

 

Dutzmanns Gastpredigten beschlossen die Predigtreihe der Evangelischen Versöhnungs-Kirchengemeinde zum Themenjahr „Reformation und Politik“ im Vorfeld des 500-jährigen Jubiläums von Luthers Thesenanschlag 2017. Im Herbst startet die Gemeinde eine dreiteilige Filmreihe mit anschließender Diskussion über das Verhältnis der Kirche zu Inklusion, Bundeswehr und Sterbehilfe.

kj