Kein Frieden ohne Vergebung

Ein Jahr in Israel und Palästina: Nora Müller berichtete über ihre Erfahrungen

Nora Müller auf dem Weinberg der Friedensinitiative „Tent of Nations“. Foto: Privat

Gütersloh. Ein ganzes Jahr hat die Gütersloherin Nora Müller in Israel und Palästina verbracht. Als Entsandte des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „Weltweit“ arbeitete die 21-Jährige vorwiegend in der Schule „Talitha kumi“ („Mädchen, steh auf!“) in Beit Jala, einer palästinensischen Stadt nahe Bethlehem. Gespannt verfolgten rund 130 Gäste im Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft Gütersloh am Bäckerkamp ihren Erfahrungsbericht, den sie mit Fotos und Grafiken veranschaulichte.

 

Schon als Schülerin hat sich Nora in der Israel-Palästina-AG der Anne-Frank-Gesamtschule engagiert. Nachdem sie 2011 als Austauschschülerin die School of Hope (Schule der Hoffnung) in Ramallah besucht hatte, war ihr klar: „Hier muss ich wieder hin!“ Begeistert berichtete sie über ihre Arbeit in „Talitha kumi“. Der deutsche Pfarrer Theodor Fliedner hat die Schule 1851 als Kinderheim für arabische Mädchen gegründet. „Das ist heute eine große Organisation“, erzählte Nora. Neben dem Mädcheninternat gehörten ein Kindergarten mit Vorschule, eine gemischte Schule für Jungen und Mädchen, ein Berufsbildungs- und ein Umweltzentrum, ein Gästehaus sowie eine Pfadfindergruppe dazu. Die christliche Schule stehe allen offen, so Nora. „50 Prozent der Schüler sind Muslime.“ Deutsch sei reguläres Schulfach, die Schüler könnten sogar die deutsche internationale Abiturprüfung ablegen. „Die jüngeren Kinder sprechen aber nur arabisch“, berichtete Nora. „Von ihnen habe ich viel gelernt.“ Besonders viel Spaß habe ihr die Mädchen-Fußball-AG gemacht. „Und in der Theater-AG der achten und neunten Klasse haben wir auf Deutsch ein Stück geschrieben. Das haben die Jugendlichen sogar auf dem Kirchentag in Hamburg aufgeführt!“

 

Neben fröhlich-bunten Bildern mit lachenden Kindern zeigte Nora auch bedrückende Fotos von schwer bewaffneten Soldaten und den Sperranlagen, mit denen sich Israel vor terroristischen Angriffen aus dem Westjordanland schützen will und die zum Teil weit in palästinensisches Gebiet reichen. Sie erzählte von Schikanen bei Sicherheitskontrollen an den Checkpoints, von Kindern, die Grenzposten mit Steinen bewerfen und von Soldaten, die mit scharfer Munition zurückschießen. „Dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern kann man dort nicht entgehen.“ Auf beiden Seiten habe sie radikale Ansichten kennengelernt und sich um eine neutrale Position bemüht. „Deswegen hatte ich oft Streit mit meinen palästinensischen Freunden.“ Beeindruckt hat Nora die Offenheit, Gastfreundschaft und Fähigkeit der Palästinenser, trotz der bedrückenden Situation kleine Freuden des Alltags zu genießen. Anderes hat sie erschreckt, etwa als eine Freundin ihr erzählte: Ihre Eltern sagten sich von ihr los, weil sie sich weigerte, den ausgesuchten Mann zu heiraten.

 

Viele Menschen in Palästina hätten die Hoffnung auf Frieden aufgegeben. „Sie sagen: Es ist schon zu viel passiert.“ Doch Nora hat auch Hoffnungsträger kennengelernt. Etwa im von dem palästinensischen Christen Daoud Nassar gegründeten Begegnungszentrum „Tent of Nations“ („Zelt der Völker“). Die Initiative setzt sich unter dem Motto „Wir weigern uns, Feinde zu sein“ für Frieden und Völkerverständigung ein.

Nora ist zu der Überzeugung gelangt, dass nur Aufklärung über die jeweils andere Seite und Vergebung dessen, was beide einander angetan haben, zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts führen können. Sie hat sich vorgenommen, auch selbst zur Völkerverständigung beizutragen.

 

Mittlerweile studiert Nora Nahostwissenschaften in Halle/Saale, sie lernt ebenso Arabisch wie Hebräisch. Und zitiert einen Satz, den sie als Graffitto auf der Mauer der Sperranlage gelesen hat: „Über Mauern kann mal fliegen, wenn man seinem Feind vergibt.“

kj