„Kirche braucht einen Kulturwandel – jetzt!“

synodeAKTUELL Nr. 6: Zu Gast auf der Landessynode: Nancy Janz vom Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt

Redete der Synode eindrücklich ins Gewissen: Nancy Janz, Betroffene und Mitglied im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD. Foto: EKvW

Redete der Synode eindrücklich ins Gewissen: Nancy Janz, Betroffene und Mitglied im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD. Foto: EKvW

Die Mitglieder der Synode applaudierten Nancy Janz nach ihrer persönlichen Rede minutenlang. Foto: EKvW

Die Mitglieder der Synode applaudierten Nancy Janz nach ihrer persönlichen Rede minutenlang. Foto: EKvW

Bielefeld-Bethel. Nancy Janz‘ Worte tun weh. Sie berühren und beschämen. Sie zeigen die Fehler der Institution Kirche auf und nehmen dafür jede Einzelne und jeden Einzelnen in die Pflicht. Die Sprecherin der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sprach am Dienstagnachmittag (26.11.) vor der westfälischen Landesynode und forderte einen Kulturwandel im Umgang mit dem Thema Sexualisierte Gewalt.
Für sie ist klar: „Sexualisierte Gewalt stellt die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Vertreter*innen in Frage. Es gilt Vertrauen aufzubauen und dies geschieht nicht durch Verschiebung von Verantwortung, verdrängen des Themas, Sprachlosigkeit und Ohnmachtsgebaren. Hier geht es um Haltung.“ 
Janz sprach in beeindruckend klaren und deutlichen Worten über ihre ganz persönlichen Missbrauchserfahrungen, die sie als Jugendliche sowohl in der eigenen Familie als auch in der Gemeinde erlebt hat: „Ich war gebrochen und er war da, der Jugendpastor. Ich brauchte ihn als Seelsorger, Vertrauten mit klarer Haltung und Rolle. Doch er verdrehte die Wirklichkeiten, denn er nutzte meine Schwachheit, meine Bedürftigkeit aus, um seine zu befriedigen.“ Das Schlimmste, so Janz, sei jedoch nicht der Missbrauch gewesen, sondern vielmehr das Gefühl der Einsamkeit und fehlenden Solidarität: „Er hat mir meine Zuversicht genommen, mit meinen Zweifeln und meinem brüchigen Glauben einen Platz in der Gemeinschaft, einen Platz im Glauben zu finden. Und dann gab es so viele Menschen wie Sie alle hier. Menschen, die keine Haltung eingenommen haben. Menschen, die sich nicht an meine Seite gestellt haben. Menschen, wie Sie alle, die mich im Stich gelassen haben, die mich weggeschickt oder ihre Türen verschlossen haben.“  
Nancy Janz sprach auch über ihre eigenen falschen Schuldgefühle, ihre Scham und Verzweiflung. Aber auch über ihre Wut: „Ich bin wütend. Wütend auf die, die sich nicht solidarisieren mit uns Betroffenen. Ich bin wütend über die Schwäche all derer, die Gemeinschaft leben und keine Haltung einnehmen beim Thema Sexualisierte Gewalt. Ich bin wütend, dass ich hier stehen und Ihnen sagen muss, dass diese Kirche Sie braucht, damit wir überhaupt zu einem Kulturwandel kommen.“ 
Als wesentliche Bausteine des notwendigen und auch in der Anfang des Jahres veröffentlichten ForuM-Studie geforderten innerkirchlichen Kulturwandels nannte Janz den Abbau von Machtmissbrauch – Transparenz und Verantwortung – Betroffenenorientierung – sowie Prävention und Bewusstsein. 
Kulturwandel strebe eine Veränderung an, die Sicherheit, Respekt und Gerechtigkeit über institutionelle Interessen stelle. Und die dafür notwendige Verantwortung könne nicht nur auf Leitungspersonen und im Thema geschulte Fachleute delegiert werden. Jede und jeder trage ein Stück Verantwortung. Ganz persönlich. Schließlich sei Kirche nicht irgendein Unternehmen, sondern eine christliche Gemeinschaft – verbunden durch den Glauben.  
Ihr Appell: „Fangen Sie an, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, wenn Sie es noch nicht getan haben. Fangen Sie an, Strukturen umzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Sprechen Sie. Schauen Sie nicht weg. Handeln Sie. Hören Sie nicht auf. Dann beginnt der Kulturwandel, jetzt!“
Die Landessynode wird sich weiter mit dem Thema beschäftigen.

Zum Hintergrund
Die Ende Januar veröffentlichte unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie ForuM besteht aus fünf Teilprojekten und einem Metaprojekt. Thematisch beschäftigten sich die Teilprojekte mit der historischen Perspektive auf den kirchlichen und öffentlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche, der bisherigen Praxis der Aufarbeitung, Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen, die sexualisierte Gewalt in evangelischen Kontexten erlitten haben, der Perspektive Betroffener auf Strukturen der evangelischen Kirche und deren Nutzung durch Täter*innen und Kennzahlen zur Häufigkeit sowie Aktenführung. Auf Grundlage der in den Teilprojekten gewonnenen Erkenntnisse wurden Empfehlungen an die Kirche und Diakonie ausgesprochen.
Im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt werden alle Fragen, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie betreffen, von Betroffenenvertreter*innen und kirchlichen sowie diakonischen Beauftragten bearbeitet. Die Mitglieder des Beteiligungsforums bringen ihre Fragestellungen und Themen in das Forum ein. Ebenso werden Anfragen aus den Gremien der EKD und Diakonie in das Beteiligungsforum getragen. Das Beteiligungsforum erarbeitet dazu konkrete Beschlussvorschläge. Für einen Beschlussvorschlag ist sowohl eine Mehrheit in der Betroffenenvertretung als auch unter den kirchlichen und diakonischen Beauftragten notwendig. Die abgestimmten Beschlussvorschläge werden dann in den Rat der EKD, die Kirchenkonferenz oder die Synode eingebracht, wo sie endgültig beschlossen werden. So ist gewährleistet, dass jede kirchenpolitische Entscheidung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt unter Partizipation Betroffener erfolgt.
Weitere Infos unter www.landessynode.de