Kommunikation hat viele Gesichter

Interview mit Johannes Vetter – KMD geht in den Ruhestand

Johannes Vetter – beobachtete bei Kreiskirchentag in Gütersloh im Sommer 2017. Foto: Archiv

Superintendent Frank Schneider (links) und Pfarrerin Annette Kleine aus Ummeln gestalteten den Gottesdienst zur Verabschiedung. Foto: fra

KIRCHENKREIS HALLE/UMMELN – Johannes Vetter (geboren 1952), Kirchenmusikdirektor im Evangelischen Kirchenkreis Gütersloh und Kantor in der Evangelischen Kirchengemeinde Ummeln, geht in den Ruhestand. Hier war er seit 2013 tätig. In dieser Zeit hat er Gemeinde und Kirchenkreis musikalisch geprägt. Über seinen Werdegang und seine Tätigkeit in Ummeln, Gütersloh und anderswo sprach Frauke Brauns, Öffentlichkeitsbeauftragte des Kirchenkreises, mit dem Musiker.

1.    Woher kommen Sie – wichtige Stationen Ihres beruflichen Werdegangs?
Vetter: Ich komme aus der Schlossstadt Velbert im Rheinland, hart an der westfälischen Grenze gelegen. Seit meinem sechsten Lebensjahr hat mich die Orgel fasziniert, und diese Faszination hält bis heute an. 1971 habe ich mich an der Essen-Werdener Folkwanghochschule in der Abteilung für evangelische Kirchenmusik eingeschrieben und war zugleich inspiriert von den radikalen Ausläufern der Studentenbewegung, eine irritierende und zugleich hoch kreative Mischung. Bei Karl Marx kenne ich mich genau so gut aus wie in der Bibel, und ich habe angesichts der Weltlage allen Grund, den ersteren nach wie vor zu schätzen. Seit den späten 1980er Jahren beschäftigte ich mich mit der Kultur und insbesondere der Musik des mitteleuropäischen Judentums. Nach einem dreijährigen Arbeitsaufenthalt in der albanischen Hauptstadt Tirana von 1980 bis 1983 habe ich mich mit dem Projekt „Der 137. Psalm, ein Versuch über Trauer“ als Kirchenmusiker zurückgemeldet, habe mich unter dem Motto „Denken ohne Geländer“ in Kooperation mit der Alten Synagoge in Essen mit Hannah Arendt auseinandergesetzt und synagogale Orgelmusik gesucht, gefunden und aufgeführt. Höhepunkt dieses „Arbeitszweiges“ war eine Konzerttournee mit einer jüdischen Freitagabendliturgie für Kantor, gemischten Chor und Orgel nach Jerusalem über Pfingsten 2017.
In meiner 15jährigen Arbeit als Bethel-Kantor hatte ich das große Glück, einen Orgelneubau zu betreuen. In der Chorarbeit lag mir immer am Herzen, in der Aufführung von oratorischen Werken die vielschichtigen Dimensionen zu beleuchten, wie beispielsweise, als wir uns 1995 mit dem Thema des religiösen Fundamentalismus im „Elias“ von Mendelssohn Bartholdy auseinandersetzen – da waren wir, aus heutiger Sicht, der Zeit weit voraus.

2.    …und die Familie?
Vetter: Ich lebe in zweiter Ehe mit Anne Kitsch zusammen, promovierte Literaturwissenschaftlerin, heute Beraterin und Autorin für Unternehmenskultur. Zwischen uns beiden findet ein erkenntnisreicher Dialog zwischen Kultur und Wirtschaft statt. Früher war es üblich, dass sich die berufstätigen Männer bei ihren Frauen für den familiären Rückhalt bedanken. Bei uns ist es eher so, dass es ein Rückhalt auf Gegenseitigkeit ist, für den ich sehr dankbar bin. Wir haben eine mittlerweile 14 Jahre alte gemeinsame Tochter, die unser Leben hell macht. Aus erster Ehe habe ich einen 32jährigen Sohn, der angehender Maschinenbauer ist. Vor seinem konsequent selbstbestimmten Weg habe ich großen Respekt.

3.    Sie beschreiben sich als Musiker, Publizisten, und Trauerbegleiter.
a.    Das sind drei sehr verschiedene Arbeitsbereiche. Wie passen sie zusammen?

Vetter: Auf den ersten Blick mag das verschiedenartig wirken. Aber alle meine Arbeitsbereiche haben mit Kommunikation zu tun, haben damit zu tun, den Menschen nahe zu sein und von ihnen zu lernen, wer sie sind und wie es um sie steht. Ich bin mit Hanns Eisler der Überzeugung: „Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts.“

b.    Welches sind/waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in der Kirchengemeinde Ummeln, bzw. im Kirchenkreis?
Vetter: Im Kirchenkreis habe ich als Kreiskantor verschiedene gemeindeübergreifende Projekte durchgeführt, Rundfunkgottesdienste, die „musikalische Abteilung“ des Kreiskirchentages im letzten Sommer und die bereits erwähnte Jerusalem-Tournee. Ich hatte Gelegenheit, Konflikte zu schlichten, habe Bewerbungsverfahren betreut. In Ummeln oblag mir der gesamte Orgeldienstund die Chorarbeit.

c.    Was machen Sie besonders gerne – vielleicht auch nicht nur in den genannten Bereichen?
Vetter: Ich lese gerne und viel, ich reise, seit einiger Zeit jedes Jahr nach Jerusalem; ich sehe meiner Tochter fasziniert beim Erwachsenwerden zu.

4.    Welche Vorbilder haben Sie?
Vetter: Ich schätze Hannah Arendt und Ernst Bloch. Ich finde, das „Kommunistische Manifest“ ist große Literatur. Und natürlich auch Karl Barths Römerbriefkommentar. Den Weltbestseller Bibel empfinde ich als unvergleichliche Herausforderung. Johann Sebastian Bach hat unfassbare Musik geschrieben. Ich bin ein Fan von Else Lasker-Schüler, vor allem von ihrem Gedicht „Mein blaues Klavier“. Ich bewundere, obwohl ich nie CDU gewählt habe, Angela Merkel für ihr umstrittenes „Wir schaffen das“, und ich bin stolz auf meine Ummelner Gemeinde, die sich ohne Wenn und Aber für Flüchtlinge engagiert hat. Ich verehre meinen mittlerweile verstorbenen Orgellehrer Gerd Zacher.

5.    Was kommt jetzt?
Vetter: Ich werde für ein Jahr den Organistendienst an der 1000 Jahre alten Herforder Marienkirche mit ihren zwei wunderschönen Orgeln übernehmen. Ansonsten bin ich selber gespannt, was noch alles kommen wird. Manchmal fühlt sich der Rentner Johannes Vetter wie ein Kind, das mit großen Augen ein Land bestaunt, das wir Zukunft nennen.