Liebe Leserinnen und Leser!
Eine ungewöhnliche Krippenszene zeigt die Künstlerin Annette Hiemenz. „Mittendrin: Hoffnung!“ hat sie ihre Darstellung betitelt. Maria, Josef und der neugeborene Jesus sind nicht in Bethlehem, sondern sie stehen zusammen mit Helferinnen und Helfern vor einer durch die Jahrhundertflut zerstörten Brücke im Ahrtal. Der Weihnachtsstern hängt an den Trümmerstücken und Balken, die die gewaltigen Wassermassen durch das Tal gespült haben. Die zerstörten Häuser einer Ortschaft und ein Weinberg sind im Hintergrund zu erkennen. Mit Schaufeln und Eimern sind die Menschen von weither gekommen, um die Trümmer beiseite zu räumen.
Die Szene eine Begegnung mitten im Alltag, der kein Alltag mehr ist.
Maria trägt ein Brot herbei, will es mit den anderen teilen. Jemand hat etwas zu trinken dabei. Eine Rast am Wegesrande. Weihnachten in Trümmern. Josef hat das Jesuskind auf seinem Knie. Das breitet weit seine Arme aus und streckt sie einem Kind mit einem Teddy entgegen. Eine Einladung zum gemeinsamen Spiel.
Zwei erschöpfte Engel sind am Rande der Szenerie. Ein Feuerwehrmann mit großen Flügeln sitzt entkräftet auf einem Trümmerhaufen. Ja, die Rettungskräfte sind anderen zu Engeln geworden, haben mit großer Kraft viel geleistet, bis sie müde geworden sind. Der andere Engel ist ein alter Mann mit Hausschuhen und einer Krücke. Wie ist er anderen zum Engel geworden? Vielleicht hat er anderen von seinem Leben erzählt? Von seiner Glaubenshoffnung, die ihn bewahrt hat.
Mittendrin das Jesuskind, unterwegs mit einer großen Hoffnung zu den Menschen in den Trümmern ihres Lebens.
Die zerstörte Brücke aus dem Ahrtal könnte auch in der Ukraine stehen. Ein Angriffskrieg in Europa. Unermessliches Leid. Wir dachten, Wohlstand und Frieden wären sicher. Nun sind wir mittendrin in der Zeitenwende.
Aber: Inmitten von Leid und Zerstörung wächst doch neue Hoffnung. Menschen, die anpacken und helfen. Gelebte Solidarität auch für Flüchtlinge unter uns. Spielende Kinder, geteiltes Brot in der Not. „Und Leben bleibt das seltsame Nebeneinander von Krieg und Abendbrot.“ So singt die Liedermacherin Dota Kehr in ihrem Lied„Bleiben“. Wir erfahren als Menschen großes Leid – aber erleben auch viele schöne Momenten der Gemeinschaft, des Miteinanders.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagen wir. Die Hoffnung stirbt nie, sagt Paulus im Römerbrief im neuen Testament: „Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin.“ (Römer 8, 24) Die Hoffnung, die wir mit der Geburt des Christkindes feiern, ist mehr als eine sentimentale Stimmung. Sie ist mehr als: „Kopf hoch! Das wird schon wieder.“ Nein, diese Hoffnung ist ein Geschenk. Ein Geschenk von Gott, der uns an Weihnachten seine Liebe zusagt in einem schutzbedürftigen Kind.
„Mittendrin: Hoffnung!“ Kein Fragezeichen, sondern ein Ausrufezeichen setzt die Künstlerin. Dass diese Hoffnung uns trägt mitten in der Zeitenwende des Jahres 2022, das wünsche ich uns zu Weihnachten.
Bleiben Sie behütet.
Pfarrer Frank Schneider
Superintendent des Ev. Kirchenkreises Gütersloh