Passion Jesu nach dem Evangelium des Matthäus

Über 100 Stimmen und Musiker auf historischen Instrumenten konzertierten unter der Leitung von Dorothea Schenk in der Oetker-Halle

 

Großartige Akteure – Unter der glücklichen Leitung von Dorothea Schenk musizierten der Universitätschor Bielefeld, die Kantorei Sennestadt, die Chorschule Brackwede, Solisten und die Hannoversche Hofkapelle zur Aufführung der Matthäus-Passion in der Bielefelder Oetker-Halle. Foto: CG

BIELEFELD – Das Dirigat Dorothea Schenks schaffte Meisterliches: Sie verband gleich drei Chorkörper – den Universitätschor Bielefeld, die Evangelische Kantorei Sennestadt und die Chorschule Brackwede, vorbereitet von Annadora Reimer, mit historischen Instrumenten der exzellenten Hannoverschen Hofkapelle und fünf formidablen Solisten zur im Jahr 1729 uraufgeführten Matthäus-Passion vom großen Johann Sebastian Bach (1685 – 1750). In der perfekten Akustik der Oetker-Halle strahlten Stimmen und Instrumente musikalisch bis in die letzten Reihen des gut besetzten Konzertsaales.

Eine tragende Rolle im dreistündigen Werk obliegt dem Evangelisten, der sich dezidiert an den Text des Matthäus-Evangeliums hält. Diese Rolle war beim Leipziger Tenor Andre Khamasmie bestens aufgehoben. Durch bestechende Präsenz gab dieser ein klares Gerüst in einem wogenden Meer tiefster Emotionen in Chorälen und Arien.

Die beiden Frauenstimmen griffen dramaturgisch früh ins Geschehen ein und versprachen ein hohes Niveau. Mit Rezitativ und der Arie „Buß und Reu“ löste Altistin Britta Schwarz berührende Verzweiflung aus und ging eine betörende Verbindung zu Travers-Flöten und Celli ein. Die warme, volltönende, einfach großartige Sopranstimme der Ania Vegry hingegen verband sich mit Viola, Contrabass und Flöten zur mütterlichen Trauer „Blute nur, du liebes Herz!“

Die Worte Jesu waren stimmlich im Bassbariton von Sönke Tams Freier bestens aufgehoben und interpretiert. Kompositorisch setzt Bach die fünfte Solostimme ein – dieser Aufgabe stellte sich Freier dezidiert und ausdrucksstark. Der Bassist aus Detmold, Markus Krause, inszenierte gleich mehrere tragende Rollen und bewies neben seiner Wandlungsfähigkeit in der Ausgestaltung der krönenden Rolle des Pontius Pilatus seine hohe Brillanz.

Welch gute Entscheidung Dorothea Schenk mit der Verpflichtung der Hanneroverschen Hofkapelle traf, ließ sich ganze drei Stunden mit Wonne erleben: Dieser auf historischen Instrumenten meisterlich agierende Klangkörper schaffte den direkten Bezug zu wahrscheinlicher Aufführungspraxis zu Zeiten Bachs. Ob Doppelorchester oder à-part-Begleitung mit Gambe, Violone und natürlich alle Streicher, Fagott, Oboe oder Flöten - die Plastizität und größere Wärme lassen erahnen, wie Bach „es“ wirklich gemeint haben könnte. Lauter Meisterinnen und Meister trugen die gebannten Zuhörerinnen und Zuhörer durch alle Emotionen und die herausfordernde Dauer der Aufführung.

Vom Auftakt-Choral an machte Dorothea Schenk ihr Kantorei-Konzept klar: Hohe Präsenz und schlafwandlerische Zwiesprache zwischen Chor und Dirigat. So lassen sich Amateurstimmen zu höchster Qualität und ausdrucksstarker Vielfarbigkeit führen. Berührend, wie auch die jungen Stimmen der Brackweder Chorschule sich einfügten. Nicht zu schweigen von manchem Solo-Part verschiedener Choristinnen und Choristen.

Die Pause für Darbietende und Zuhörende war gnädig und zeitgemäß; auch der der Kirchenbank vorzuziehende Theatersessel. Doch wartete im zweiten Teil der Matthäus-Passion eine noch größere dramaturgische Inszenierung. Mit dem Verhör vor Hohepriestern und Pilatus und dem Todesurteil der Menge „Laß ihn kreuzigen!“ ist der Weg unumkehrbar geworden. Kreuzigung und Grablegung, tiefste Verzweiflung und bedrohliche Naturphänomene in der Todesstunde Jesu münden im großartigen Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“. Nach einer „toten“ Stille und einem tiefen Atemzug brandete unglaublich verdienter Applaus und wollte nicht mehr enden.       (CG)