Philosophie des internationalen und interkulturellen Miteinanders

Bibeldorf fördert Werkstatt für Menschen mit und ohne Behinderungen in Palästina

Filz-Krippen gibt es in verschiedenen Größen.

Eine Reisegruppe aus Rietberg besuchte im Herbst das Ma’an lil-Hayat Centre in Bethlehem und ließ sich die Arbeitsschritte für eine Krippe aus Filz zeigen. (Fotos: Claudia Didczilatis)

Eingangsschild zur Arche in Bethlehem

RIETBERG/BETHLEHEM – „Von den behinderten Bewohnern hier lernen wir ganz viel über Freude, Liebe und Mitmenschlichkeit. Wir bekommen so viel mehr, als wir ihnen geben können“, schreibt Amal Abu Zulaf, Betreuer in der Arche-Gemeinschaft in Israel, auf der Homepage des Ma’an lil-Hayat Centre in Bethlehem. Dort leben und arbeiten Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammen. Seit einigen Jahren hält das Bibeldorf Rietberg Kontakt zu diesem Zentrum. Denn, „neben der Bildungsarbeit haben wir einen diakonischen Auftrag“, betont Eva Fricke, Geschäftsführerin und pädagogische Studienleiterin des Bibeldorfes.

Das Bibeldorf verkauft nicht nur Krippen und Schafe aus Filz, die dort hergestellt werden. Während der Studienreisen, die Pfarrer Dietrich Fricke und Eva Fricke ins Heilige Land organisieren, besuchen sie immer wieder auch das Ma’an lil-Hayat Centre in Bethlehem. In den Werkstätten des Zentrums werden unter anderem Krippen und Schafe aus Filz hergestellt, die im Shop des Bibeldorfes verkauft werden.
Das Ma’an lil-Hayat Centre in Bethlehem ist Teil einer Bewegung, die auf den kanadischen Katholiken Jean Vanier zurückgeht. Bewegt von dem Wunsch, in christlicher Gemeinschaft mit Menschen mit Behinderungen zu leben, gründete er 1964 in Frankreich das erste Arche-Haus. Inzwischen ist eine weltweite interreligiöse Bewegung daraus geworden. In der Charta der Arche heißt es: „Die Gemeinschaften der Arche sind Gemeinschaften des Glaubens. Ihre Wurzeln liegen im Gebet und im Vertrauen auf Gott. Sie möchten sich führen lassen von Gott und von ihren schwächeren Gliedern, in denen Gottes Gegenwart deutlich wird.“ Ein international bekanntes Mitglied dieser Bewegung war der niederländische Priester, Psychologe und Schriftsteller Henri Nouwen, der nach ersten Kontakten mit Vanier und der Arche ab 1986 in der Arche-Gemeinschaft Daybreak in Richmond Hill bei Toronto in Kanada ein bleibendes Zuhause fand. Dort wirkte er als geistlicher Leiter bis zu seinem unerwarteten Tod 1996.
Die Arche-Gemeinschaft in Bethlehem wurde 2009 gegründet. Damals entschied sich die Gruppe, die erste Werkstatt für Produkte aus Filz in Palästina zu errichten. Seitdem produzieren und exportieren die Mitglieder des Ma’an lil-Hayat Centre ihre Produkte – hauptsächlich stellen sie Krippen, Weihnachtsdekoration, Tiere, Schmuck und Taschen her – in die ganze Welt. Grundlage für die Erzeugnisse sind Wollflocken, die Schäfer am Wegesrand einsammeln. „Im Zentrum verwerten sie einen Rohstoff, der früher unbeachtet liegenblieb“, weiß Eva Fricke.  
Die Bewohnerinnen und Bewohner mit und ohne Lernschwierigkeiten kommen aus verschiedenen Glaubensrichtungen und teilen nicht nur ihre Arbeit, sondern auch das tägliche Leben. Jeden Morgen treffen sie sich zur Andacht mit Liedern und Gebeten ihrer verschiedenen Religionen und Kulturen.  
Diese Art der Gemeinschaft und des Zusammenlebens fördert die Menschen mit Behinderungen in besonderer Weise. Sie gewinnen durch die gemeinsame Arbeit Selbstvertrauen und Selbstsicherheit. Das erleben ihre Begleiter und Betreuerinnen immer wieder, wenn sie begleiten die jungen Menschen mit geistigen Behinderungen in ein selbstbestimmtes Leben, in dem sie auch Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft übernehmen. Gastfreundschaft, eine Kultur des Teilens und der Einfachheit sowie eine Philosophie des internationalen und interkulturellen Miteinanders sind elementare Bestandteile des gemeinsamen Lebens. „Wir freuen uns, dass wir diese Gemeinschaft fördern können“, fasst Eva Fricke zusammen.   (fra)