Gütersloh. „In der Stille wird das Gehirn durchzogen von einer unbekannten Frische, die alles löst und alles verbindet.“, weiß Professor Dr. Rolf Wischnath. „Es gibt dann einstweilen nichts mehr zu sagen.“ Dennoch hat Wischnath genau dies getan: Vor einem rund 50-köpfigen Publikum sprach der Pfarrer jetzt in der Apostelkirche „von der Notwendigkeit der Stille“.
Gleich zu Beginn machte Wischnath klar: „Ich bin kein Meister der Stille.“ Es gehe ihm nicht um wissenschaftlich-theologische Aufarbeitung des Themas, sondern um sein ganz eigenes Interesse. Und so präsentierte Wischnath auch nicht wie oft zuvor einen bis ins Kleinste ausgearbeiteten Vortrag. Vielmehr bot er ein sehr persönliches Lob der Stille dar und lieh sich dafür Worte populärer wie unbekannter Autoren von der Antike bis zur Gegenwart: von Dichtern und Philosophen, Kabarettisten und Theologen, Bergsteigern wie Bestattern. Auch eigene Erfahrungen ließ er einfließen.
Eine ordentliche Definition musste freilich sein: Stille sei „empfundene Lautlosigkeit, Abwesenheit jeglichen Geräusches, aber auch Bewegungslosigkeit.“ Doch dann begann der reine Hörgenuss: „Die Stille der Wüste ist stärker als der Lärm der Welt“, so der ägyptische Mönch Abbas Poimen im vierten Jahrhundert. Wer Erleuchtung wolle, müsse die Stille suchen, zitierte Wischnath den Reformator Martin Luther. Ruhelose Geschäftigkeit gefährde die Stille. So habe Blaise Pascal, Mathematiker und Philosoph, alles Unglück der Menschen darauf zurückgeführt, „dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.“ Doch, so der Familientherapeut Martin Koschorke, es gebe „Augenblicke, da kommt das Schweigen auf den Schwingen des Glücks daher.“ Etliche der Zitate waren sprachliche Meisterwerke, andere zeugten von tiefer Weisheit oder feinem Humor.
Die Stille, so Wischnath, sei auch eine Möglichkeit der Gotteserfahrung. Pascal habe in einem mystischen Erlebnis Gott „wie Feuer und Stille“ erfahren. Und dem Propheten Elia sei er nicht in Sturm, Donner oder Feuer, sondern in der Stille begegnet (1. Könige 19,12). Ebenso könne der Blick in die Natur und den „Kosmos mit seinen unermesslichen, stillen Räumen“ das „Tor zur Transzendenz aufstoßen“. Selbst die Totenstille lotete der Referent aus zwischen dem Verstummen angesichts endlosen Schweigens, ewiger Ruhe und den „Klängen der Erinnerung“.
„Jeder muss seinen eigenen Weg zur Stille finden“, betonte Wischnath. Ihm selber helfe es, etwa nach jeder abgeschlossenen Tätigkeit eine Minute und alle 90 Minuten eine Viertelstunde Pause zu machen. Ansonsten bete er zweimal täglich, lese zwei Seiten in der Bibel und gehe mindestens 3000 Schritte durch den Stadtpark – alles in der Stille.
„Schweigt stille, plaudert nicht“, hatte Rolf Wischnath zu Beginn sein Publikum ermahnt. Und dies folgte in tiefem Schweigen dem rund 40-minütigen Vortrag. Da die Apostelkirche nach Ausfall der Heizung an diesem Abend mit etwa 10 Grad empfindlich kühl war, verzichtete der Referent auf die geplanten Stilleübungen. Veranstalter Ullrich Felchner dankte ihm im Namen des Fördervereins Historische Kirchen für seine „erwärmenden Worte in unserer kalten Kirche“. Und beim anschließenden Applaus wurden die starren Finger wieder warm.
kj