Gütersloh. Das sichtbare Zentrum im Vesperkirchen-Dorf ist ein loderndes Feuer inmitten von bunten Sitzbänken, einem großen THW-Zelt, einem Landfrauen-Café im Wagen und natürlich dem Suppenregal mit unzähligen Kunstwerken. „Nahrung für Leib und Seele“, so beschreibt eine Besucherin das bunte Treiben auf dem Platz vor der Martin-Luther-Kirche in Gütersloh – natürlich Pandemiegerecht. Nähe entsteht auch mit Sicherheitsabstand; besonders in den musikalischen und spirituellen Momenten.
„Diversität ist erwünscht“, erklärt der Initiator und Leiter des fast 100-köpfigen Mitarbeitendenteams, Pfarrer Stefan Salzmann, den Wunsch hinter dem Konzept der zweiten Vesperkirche in Coronazeiten. „Wir möchten ein sichtbares Bild der Stadtgesellschaft im Vesperkirchen-Dorf zeigen und Begegnung unter besonderen Bedingungen erfahrbar machen“, erklärt Salzmann den besonderen Fokus im Jahr 2022. Da sind die fabelhaften freien Improvisationen des erfahrenen Thomas Schweitzer am Saxofon zu Beginn ein anziehender Türöffner. Die Menschen streben auf den Kirchvorplatz, verweilen noch bis weit auf dem Berliner Platz und hören gerne zu.
Bevor das Suppenregal gefüllt ist, versorgen die drei Landfrauen Monika Paskarbies, Doris Seggewiss und Annette Stertkamp die Umstehenden mit heißen Getränken und einem freundlichen Plausch. Fast kommt eine Art Weihnachtsmarktstimmung auf im grau-kalten Februarwetter. Unter den Masken lässt sich vielfach ein Lächeln und Blitzen in den Augen erahnen. Da ist sie also, die „Hoffnung im Grau“, von der Salzmann gerade erzählt hat.
Im spirituellen Moment nimmt Julya Ibrahim vom islamischen Zentrum Gütersloh das Mikrofon in die Hand. Die junge Muslima erzählt von ihrem Unbehagen über die Rollenklischees der Mehrheitsgesellschaft. „Ich werde inspiziert und fühle mich oft wie eine Frau im Käfig“, wirbt Julya Ibrahim für einen neuen Raum der Begegnung und des Kennenlernens. „Die Vesperkirche ist so ein Ort“, hofft die junge Frau auf neue Freiräume auch in Gütersloh. „Weder bin ich Opfer des Patriachats noch eine Gefahr als Teil eines weltweiten islamistischen Terrorismus“, sie sei eine junge muslimische Frau, die sich in der Gesellschaft engagiere, in der sie lebe, so Julya Ibrahim.
Gemeindepfarrer Eckhard Heidemann trägt das orangefarbene Oberteil mit dem Hinweis als Seelsorger ansprechbar zu sein. „An jedem Tag der Vesperkirche steht das Seelsorgeteam bereit für Gespräche“, erlebt Heidemann ein großes Bedürfnis über die kleinen und großen Sorgen in schwierigen Zeiten zwanglos ins Gespräch zu kommen.
Irgendwann beginnt auch die Verteilung der etwa 200 Suppen, die durch viele kleine und große Gaben von Sponsoren möglich sind. Der Platz leert sich langsam, mancher geht – nicht nur mit Suppe beschenkt – davon. Wer nicht so gut zu Fuß ist, kann sich entweder mit einem Shuttlebus nach Hause bringen lassen oder in die Fahrrad-Rikscha von Dirk Böhm steigen. Sicherlich auch ein Erlebnis, das ein Lächeln ins Gesicht zaubert. (CG)