Sterben, Abschied und Trauer in Zeiten von Corona

Seelsorger*innen der Versöhnungs-Kirchengemeinde sind da und hören zu

Pfarrerin Sarah Töws entzündet eine Kerze und stellt sie ins Fenster des ev. Gemeindehauses in Rheda. Sie folgen damit dem Aufruf Frank-Walter Steinmeiers, jeden Freitagabend eine Kerze für einen Verstorbenen in der Pandemie anzuzünden um gemeinsam zu erinnern. Foto: wl

Rheda-Wiedenbrück. Die Pfarrer*innen der Versöhnungs-Kirchengemeinde Rheda-Wiedenbrück spüren es tagtäglich, dass etwas Wesentliches fehlt. Damit meinen sie nicht, dass die Geschäfte und Restaurants geschlossen haben, sondern die fehlende Trauerbegleitung, die viele Angehörige einsam und krank macht. All das, was in den vergangenen Jahren an Kultur beim Thema Sterben möglich war wie die Hospizbewegung, die Palliativmedizin und persönliche Sterbe- und Trauerbegleitung, ist praktisch in den vergangenen zehn Monaten zum Erliegen gekommen.

Vielen Menschen fehlt in Folge dessen etwas beim letzten Abschied und der Tod kann somit nicht richtig realisiert werden. „Wir möchten die Gesellschaft dafür sensibilisieren, auch die Geschichten von Abschied und Trauer, die hinter jedem Toten der täglichen Zahlen des Robert Koch Institutes als Folge der Pandemie steht, nicht aus den Augen zu verlieren und sie zu erzählen“, erklärt Pfarrerin Kerstin Pilz. Aber auch die Menschen nicht zu vergessen, die am hohen Alter, einer schweren Krankheit oder durch Unfall versterben.
So wie Homeschooling, Homeoffice und die Schließung des kulturellen Lebens nicht vergessen werden, sollten auch die Schicksale der Toten und ihrer Angehörigen nicht vergessen, oder noch schlimmer, verdrängt werden. „Abschiedskultur ist nicht die Aufgabe jedes Einzelnen, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und dessen sind wir uns als Kirche vor Ort, die in Beziehung zu den Menschen sein will, bewusst“, ergänzt Pfarrerin Sarah Töws. Sie alle würden bei den Beerdigungen der vergangenen Monate spüren, die allesamt trotz begrenzter Trauergäste sehr würdevoll gewesen seien, dass es eine Unsicherheit am Grab gibt und das Bedürfnis nach körperlicher Nähe beim letzten Abschied. Kein Umarmen, kein Händeschütteln – die Menschen bleiben in Distanz. „Das macht hilflos und auch wir halten das nur bedingt aus“ so Pilz.
Das Virus würde nicht nur den Körper angreifen, sondern auch die Seele, doch dagegen gäbe es keinen Impfstoff und das macht womöglich lange krank. Deshalb macht das Team darauf aufmerksam, dass sie allesamt für die Angehörigen da sind, egal wer von ihnen Rat sucht. Da gäbe es auch kein Ranking, sondern ein offenes Ohr für jeden und jede, der/die Bedarf hat sich auszusprechen, so Pfarrerin Mandy Liebetrau. „Wir sind da, hören zu und sorgen dafür, dass die Bilder im Kopf, die entstanden sind, weil man vielleicht nicht mehr Abschied nehmen konnte, nicht ins Krankenhaus oder Seniorenheim hineinkam, verschwinden, oder einfach mal ausgesprochen werden.“
Ferner möchten sie sobald es möglich ist, einen Gedenkgottesdienst für alle Verstorbenen in dieser ungewöhnlichen Zeit feiern. Bei dem können neben der Familie entfernte Verwandte, Nachbarn, Freunde oder Vereinskollegen noch einmal Abschied nehmen, weil sie an der eigentlichen Trauerfeier bedingt durch die begrenzte Personenzahl nicht teilnehmen durften. Das soll insbesondere für die Menschen sein, die seit Verschärfung des Lockdowns im Dezember einen Menschen verloren haben.
Jeden Freitagabend folgen die Pfarrerinnen und Pfarrer der Versöhnung- Kirchengemeinde dem Aufruf des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und zünden eine Kerze für die Verstorbenen an und stellen sie ins Fenster. Die Seelsorger appellieren an die trauernden Menschen, es ihnen gleichzutun, weil auch das ein Stück Trauerverarbeitung ist und „ein Zeichen dafür, dass wir eine Gemeinschaft sind.“         wl