Unbedingter Gehorsam?

Pfarrer i.R. Dr. Helmut Gatzen hat ein viertes Buch veröffentlicht

Pfarrer und Autor: Dr. Helmut Gatzen. Foto: Kerstin Jacobsen

Gütersloh. Wenn von der Vermischung von Religion und Politik oder von „unbedingtem Gehorsam“ die Rede ist, schrillen bei Dr. Helmut Gatzen Alarmglocken. Sofort werden ungute Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus wach. Sich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte - Teil seiner eigenen Biografie - auseinanderzusetzen, ist ihm zur Lebensaufgabe geworden. Der pensionierte Pfarrer hat bereits drei Bücher über das Schicksal jüdischer Menschen in Gütersloh veröffentlicht. In seinem neuen Werk „Unbedingter Gehorsam“ setzt er sich theologisch mit jenem Eid auseinander, mit dem deutsche Soldaten Adolf Hitler 1934 Gehorsam bis in den Tod schworen. In der Vereidigung der Wehrmacht auf den „Führer“ sieht er die Grundlage für den 12-jährigen Machtmissbrauch der Nationalsozialisten.

 

„Der Eid wurde ‚vor Gott’ abgelegt“, so Gatzen, „und war somit ein Widerspruch in sich selbst.“ Denn wer an Gott glaube, könne keinem Menschen „unbedingt“ gehorsam sein. Martin Luther habe die Polarität zwischen religiösem und politischem Gehorsam mit der Lehre von dem doppelten Beruf (dem geistlichen und dem äußeren) beschrieben. „Das haben wir heute verlernt. Und wir haben auch verlernt, dass das Christentum immer auch Stellung bezieht gegen die Welt.“ Im Eid des unbedingten Gehorsams wurde die Polarität zwischen göttlichem Gebot und militärischem Befehl aufgehoben. „Wer einen solchen Eid leistet, hat seine Seele verkauft und einen neuen Gott etabliert.“

 

Wieso gab es kaum Widerstand gegen den Eid? Gatzen legt dar, wie sich die Auffassung vom „doppelten Beruf“ unter Einfluss der Aufklärung wandelte und nimmt auch Aussagen von Theologen wie Dietrich Bonhoeffer und Karl Bath auf. Außerdem zeichnet er die Entwicklung des (soldatischen) Eides seit der Reformation bis zum Nationalsozialismus nach, wo schließlich die Religion in der Politik aufgehe.

 

Es ist gewiss keine leichte Kost, die Gatzen seinen Leserinnen und Lesern serviert. Doch so lange es in Deutschland rechtsradikale Gruppen wie die NSU gibt, wird der Pfarrer, der am 25. August seinen 80. Geburtstag feiert, nicht müde zu mahnen: „Nichts darf über das erste Gebot gehen!“ Denn er weiß: Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

 

„Unbedingter Gehorsam oder Vocatio Duplex – von der Polarität zwischen Berufung und Beruf am Beispiel des Eides“, so der vollständige Titel, ist im Luther-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-7858-0631-9, 14,95 Euro). Die Gütersloher Buchhandlung Heitmann, Berliner Straße 67, hat einige Exemplare vorrätig.

kj

 

 

Vita Dr. Helmut Gatzen

Helmut Gatzen wurde 1933 als zweites von vier Kindern des Zollbeamten und Wehrmachtsoffiziers Karl Gatzen und seiner Ehefrau Elfriede in Mühlhausen (Thüringen) geboren. „Der Vater hat meinen Bruder und mich wie kleine Soldaten aufgezogen“, erinnert er sich. Aus seiner kindlichen Begeisterung für die Hitlerjugend macht Gatzen keinen Hehl. Die Familie zog häufig um und wurde zweimal ausgebombt. Das Kriegsende erlebte Gatzen in Naumburg an der Saale. Hier hat er ostpreußische Vertriebene ebenso gesehen wie flüchtende Wehrmachtssoldaten und KZ-Häftlinge aus Buchenwald auf dem Todesmarsch, später dann amerikanische und russische Streitkräfte.

 

„Bei den Nazis hatte ich marschieren und parieren gelernt“, blickt er zurück. „Und in der DDR sollte es mit umgekehrten Vorzeichen im Stechschritt weitergehen.“ Gatzen widersetzte sich dem schulischen Druck, in die „Freie Deutsche Jugend“ einzutreten, stattdessen engagierte er sich in der „Jungen Gemeinde“. „Wir haben darüber diskutiert, was unsere Väter getan hatten“, erzählt er. „Es hat Jahre gedauert, bis ich das begriffen habe.“ 1950 ging die Familie über die „Grüne Grenze“ in den Westen und ließ sich in Bielefeld nieder.

 

Helmut Gatzen engagierte sich im CVJM und entschloss sich zum Theologiestudium, das er mit einer Doktorarbeit über „Beruf bei Martin Luther und in der Industriellen Gesellschaft“ abschloss. Er arbeitete zunächst als Berufsschulpfarrer in Hamm und war dann Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll, bevor er 1977 als kreiskirchlicher Schulreferent nach Gütersloh kam. Für seine literarische Aufarbeitung der Drangsalierung und Ermordung jüdischer Menschen in Gütersloh wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Helmut Gatzen ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Gütersloh.

kj