„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“

Auftakt zur Gottesdienstreihe „Kirche trifft…“ mit Polizist*innen in der Martin-Luther-Kirche mit Musik von „Fetter Segen 415“ aus Verl

In bewegenden Alltagsbeschreibungen teilten Polizist*innen ihre Diensterfahrungen mit den Gottesdienstbesucher*innen in der Martin-Luther-Kirche. Foto: CG

Die fünf Musiker*innen der Band „Fetter Segen 415“ aus Verl begleiteten den Auftaktgottesdienst der Reihe „Kirche trifft…“ in der Marin-Luther-Kirche (v.l.): Jens Hoffmann (Bass), Denise Sander (Gesang & Piano) Bernd Tiggemann (Gitarre) Volker Laske (Schlagzeug) uns Ute Lienenlüke (Gesang). Foto: CG

GÜTERSLOH– „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ – anhand dieser Worte des 8. Psalms dachte Pfarrer Michael Frentrup in der Liturgie über das biblische Menschenbild nach. Dies geschah zum Auftakt einer – coronabedingt – erst jetzt startenden Gottesdienstreihe „Kirche trifft…“  der Stadtkirchenarbeit in der Evangelischen Kirchengemeinde Gütersloh. In der Martin-Luther-Kirche traf Kirche die Polizei; eine sehr persönliche und berührende Begegnung in Statements von Beamtinnen und Beamten der Kreispolizeibehörde Gütersloh. Dazu spielten sich die musikalischen Botschaften von „Fetter Segen 415“ aus Verl den aufmerksamen Besucher*innen mitten ins Herz.

Wie ein reales Gegenstück zu der medialen Inszenierung von Polizeigewalt in Amerika und der Diskussion über gesellschaftlichen Rassismus in unserem Land wirkten die Aussagen der Beamt*innen. Die junge Katharina Felsch etwa arbeitet in der Waffenbehörde und hat viel mit Jägern und Sportschützen zu tun. In der Abwägung zwischen den Rechten von Waffenbesitzern und dem Schutz der Allgemeinheit stellen sich ständig Fragen nach Handlungsanweisungen. Jeder und jede in diesem Zusammenhang Diensttuende trägt eine große Verantwortung.

Martina Retzlaff ist seit 21 Jahren Polizeibeamtin und muss sich regelmäßig im Einsatz als „Hure, Fotze oder Schlampe“ beschimpfen lassen. „Ich werde beleidigt und angespuckt“, sagte die mutige Frau und ist sich trotzdem ganz sicher: „Wir sind für jeden und jede der „Freund und Helfer“. Dabei seien die Erwartungen an die Polizei seitens der Bevölkerung sehr hoch, so Retzlaff. „Wir sind keine Roboter, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, aber trotzdem immer für Alle da“, betonte Martina Retzlaff.

Alexander Hüske ist seit 1994 im Polizeidienst. Er erzählte von der Situation in Familien nach einem Verkehrsunfall mit Todesfolge. „Wir Polizisten gehen in die Familien und ins zumeist hoch emotionale Gespräch. Da sehe ich mich als Helfer und höre zu“. Er frage sich oft, wieviel Leid ein Mensch ertragen kann? Als Opferschützer vermittelt er Kontakte zu weiteren Hilfsangeboten. Der Dank sei oft ein Hoffnungsschimmer oder ein Lächeln. Alexander Hüske sagte: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Der zweifache Vater Guido Baratella ist seit 28 Jahren Polizist. Er ist als Kripobeamter für den Bereich häuslicher Gewalt zuständig. Er erinnert sich an einen kleinen Jungen, der regelmäßig von seinem Vater misshandelt wird. Der kleine Junge versteht nicht, dass der Vater das tun darf. Guido Baratella fragt sich oft, was er verhindern kann? Er hat einen Eid geschworen und erlebt an jedem Diensttag häusliche Gewalt. Die Frage bleibe: „Wieviel nehme ich davon mit nach Hause?“

Ursula Rutschkowski ist seit über 40 Jahren im Dienst und erinnert in ihrem Statement an die Kolleg*innen, die ihren Dienst tun gegen Kinderpornografie. Sie erzählte, wie Kolleg*innen Bilder, die sie anschauen mussten, nie wieder vergessen können. Hinter jedem Bild stehe ein Schicksal, so Rutschkowski. Dass Täter ihre Taten immer wieder bagatellisieren, macht die erfahrene Frau wütend. „Seit ich diesem Job mache, zweifle ich an der Menschheit“, sagte Rutschkowski und stellte klar: „Alles an dieser Arbeit ist belastend!“

Abschließend stellte Dirk Zeller, der Polizeidirektor Gefahrenabwehr Einsatz, vor seine „Truppe“. Er erinnerte an den Diensteid. „Der Alltag der Kolleg*innen ist nur zu ertragen durch Berufung und den Diensteid!“ Dieser Eid bedeute, dass Polizist*innen bereit seien, da zu sein, wenn andere nicht mehr könnten. Die eigene Gesundheit und das Leben zu riskieren, im Ernstfall von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, ohne Macht zu missbrauchen. Diese Dienstauffassung führe oft zur Vernachlässigung von Menschen im Privaten und bedeute auch Verlust. Zeller fragte die Zuhörer*innen, ob sie bereit seien, bei Verzicht auf Dank und Würdigung durch Vorgesetzte und Gesellschaft, diesen Eid zu leisten?
Der Polizeipfarrer Jens Hoffmann wechselte für seine Predigt quasi mit fliegendem Talar vom E-Bass zur Kanzel. Als wichtiger Teil der Band „Fetter Segen 415“ aus Verl hatte er die unter die Haut gehenden Alltagserzählungen mit seinen musikalischen Mitstreiter*innen berührend begleitet. Seine überraschende Aussage zur seelsorgerlichen Tätigkeit bei der Polizei war: „Wenn ich mal Erholung vom kirchlichen Alltag suche, gehe ich gerne auf die Wache oder in eine Abteilung der Polizei und genieße dort das große Bewusstsein für Gerechtigkeit und vor allem die Zielorientierung“. Für Jens Hoffmann steht felsenfest klar: „Für mich sind Polizist*innenganz besondere Menschen. Ich schwärme gerne über sie!“ 

Als er in seiner Funktion als Notfallseelsorger mit Polizeibeamt*innen zu einem Suizid gerufen wurde, stellte sich die Frage nach weiteren Schusswaffen im Haus. Augenblicklich habe sich eine Beamtin vor ihn gestellt. Sie war bereit, Jens Hoffmann mit ihrem Einsatz zu schützen. Solche Augenblicke seien es, die seine Faszination erklärten und wie sehr Beamt*innen ihn persönlich beeindruckten, so Hoffmann. Eine weitere Frage erwächst aus Hoffmanns Praxiserfahrung: Warum werden Polizist*innen nicht zu Menschenhassern oder depressiv?

Neben der Frage, wie wir Menschen mit der Polizei umgehen fragte Jens Hoffmann nach Gottes Umgang mit uns. „Was ist der Mensch, dass Gott seiner gedenkt?“ Jens Hoffmann hat bei den Menschen in Uniform einen guten Rückhalt sowohl privat wie dienstlich entdeckt, den Glauben, dass Nächstenliebe sich lohne. Durch die konsequente und hilfsbereite Art vieler Polizist*innen habe er sich gerade in schwierigen Situationen angenommen gefühlt. „Gott ist dabei als ständiger Begleiter“, so Hoffmann, obwohl er auch die dunklen Seiten kenne. Daraus erwachse die Möglichkeit, Wertschätzung weiter zu geben, gegen das Böse, für das Gute.         (CG)


Infos zur  neuen Reihe
An der Gestaltung der „Kirche trifft…“-Gottesdienste ist jeweils eine Berufsgruppe, ein Ver-ein, eine Initiative beteiligt, die wichtige Aufgaben für die Stadtgesellschaft erfüllt. Die Betei-ligten haben die Möglichkeit, von ihrem Berufsalltag zu berichten und ihre besonderen Situa-tionen und Anliegen zu formulieren. Mit einem biblischen Impuls werden die vorgetragenen Themen aus der Perspektive des christlichen Glaubens betrachtet.
Die jeweiligen Themen können im Gottesdienst auf sehr unterschiedliche Weise angesprochen werden: Als Vortrag, in einer Predigt, im Rahmen eines Interviews, als persönliches Statement und auf viele andere Weisen. Auch die musikalische Gestaltung wird mit den beteiligten Gruppen abgestimmt: Orgel oder Band, (hoffentlich bald wieder) gemeinsamer Gesang oder Solovorträge.        (CG)