„Was ist uns die Pflege wert?“

Informations- und Diskussionsabend zur Zukunft der Pflege in der Martin-Luther-Kirche Gütersloh

Diskutierten: Johannes Mast, Matthias Traeger, Andreas Westerfellhaus, Michaela Evans, Björn Neßler und Eugen Meyer (v.l.). Foto: Kerstin Jacobsen

Gütersloh. Immer mehr Menschen sind im Alter darauf angewiesen, von Fachkräften gepflegt zu werden. Wie ist es um die Zukunft der Pflege bestellt? Dieser Frage widmete sich ein Vortrags- und Diskussionsabend vor einem hoch interessierten Publikum in der Martin-Luther-Kirche. Eingeladen hatte der Sozialausschuss des Evangelischen Kirchenkreises Gütersloh.

 

Die Grundlagen legte ein Vortrag von Michaela Evans vom Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik. Unterdurchschnittliches Lohnniveau, belastende Arbeitsbedingungen und geringe Karrierechancen - die Arbeitsbedingungen in der Pflege seien wenig attraktiv. In der ohnehin knapp bemessenen Zeit seinen auch Aufgaben wie die Dokumentation zu erledigen, dadurch bliebe Wichtiges wie das Gespräch mit den Gepflegten der Strecke.

 

„Wir haben heute mehr Menschen in der Pflege als vor 20 Jahren, aber keine bessere Personalausstattung“, betonte Evans. Der künftige Mangel an Pflegekräften werde unterschiedlich eingeschätzt. Sicher sei: „Wir werden junge Menschen nur dann für die Pflege gewinnen, wenn wir ihnen attraktive Arbeitsplätze bieten!“ Dazu gehörten neben einem leistungsgerechten Gehalt familienfreundliche und altersgerechte Arbeitsbedingungen sowie Fort- und Weiterbildung.

 

Im Anschluss moderierte Matthias Traeger (Radio Gütersloh) eine Podiumsdiskussion mit Referentin Michaela Evans, Eugen Meyer (Pfleger im Haus Nazareth, Bethel), Björn Neßler (Geschäftsführer Diakonie Gütersloh e.V.), Andreas Westerfellhaus (u.a. Präsident des Deutschen Pflegerates) und Johannes Mast (Bewohner Altenzentrum Johann-Heermann-Haus, Bielefeld).

 

„Es gibt gute Pflegekräfte“, so der 90-jährige Mast, „aber zu wenige: Manchmal sind zwei Pflegekräfte für 32 Personen zuständig.“ Das bestätigte Pfleger Eugen Meyer: „Überforderung ist bei uns Alltag.“ Er beklagte das „schwache Selbstbewusstsein“ vieler Pflegekräfte. Hier hakte Evans ein und kritisierte die „oft skandalisierende Berichterstattung über die Pflege in den Medien“. Tatsächlich erführen Pflegekräfte in der Bevölkerung hohe Wertschätzung. „Pflegearbeit ist nicht nur belastend, es gibt auch viele schöne Momente.“ Das „hohe Berufsethos“ der Pflegekräfte lobte Björn Nessler. „Darauf ruht sich der Staat jedoch aus. Schließlich dürfen die 1, 2 Millionen Mitarbeitenden in Caritas und Diakonie nicht streiken.“ Zwar zahle die Diakonie Tariflöhne, aber: „Jeder Monteur bekommt mehr als eine Pflegekraft, obwohl deren Arbeit viel wertvoller ist!“ Genau da liege das Problem, so Westerfellhaus: „Wir haben bislang versäumt zu diskutieren: Was ist dieser Gesellschaft die Pflege wert?“ Eine Umfrage vor der Bundestagswahl zu den wichtigsten Problemen der nächsten Legislaturperiode habe ergeben: An dritter Stelle stellten die Befragten die Versorgung mit Pflegeleistungen. Westerfellhaus: „Ein Signal an die Politiker, sich endlich zu kümmern!“

 

Die Politik allein könne keine Abhilfe schaffen, so Evans. Anders als in der Industrie gebe es in der Pflege keine einflussreichen Gewerkschaften, die mit Arbeitgebern über einheitliche Tarifverträge verhandelten. „Dabei gibt es bei allen Trägern dieselben Probleme“, stellte Evans fest und forderte: „Die Pflege muss sich endlich als gemeinsame Branche etablieren.“ Alle waren sich einig, dass der drohende Pflegenotstand gestoppt werden müsse. Westerfellhaus: „Was passiert denn mit uns, wenn wir einmal professionelle Hilfe brauchen?“

kj