Wider die Verführbarkeit

Dr. Rolf Wischnath referierte über den Kirchenkampf und „einen vergessenen Gütersloher Obernazi“

Dr. Rolf Wischnath im Gespräch. Foto: Kerstin Jacobsen

Gütersloh. „Unter gar keinen Umständen“, so Professor Dr. Rolf Wischnath, könne eine evangelische Seminarreihe zum Thema „Kirche und Politik“ enden, ohne „an die schärfste Herausforderung des Verhältnisses der Kirchen zur politischen Macht der letzten hundert Jahre“ zu erinnern. Und so beendete der Pfarrer die Veranstaltungsreihe „Reformation.Macht.Politik.2014“ der Evangelischen Kirchengemeinde und des Evangelischen Kirchenkreises Gütersloh mit einem Vortrag über den Kirchenkampf (1933-1945), die Barmer Theologische Erklärung von 1934 und „einen vergessenen Gütersloher Obernazi."

 

„Derzeit sind weltweit rund 100 Millionen Christen von Gewalt und Tod bedroht“, erfuhren rund 60 Interessierte im Haus der Begegnung. Die „physische Vernichtung der Kirchen“ sei für Adolf Hitler nicht vordringlich gewesen, so Wischnath. Im „Dritten Reich“ habe es keine Christenverfolgung im „altrömischen Stil“ gegeben. Adolf Hitler habe sich feinerer Methoden bedient und zunächst die Zwangsvereinigung der 28 Protestantischen Landeskirchen zu einer Reichskirche unter dem „Nazi-Bischof“ Ludwig Müller (1883-1945) vorangetrieben. Detailliert schilderte Wischnath die Entwicklung des Kirchenkampfes zwischen nationalsozialistischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche. Dessen Konturen hätten sich auch in Gütersloh abgezeichnet.


Denn was vielen Zuhörern – auch alteingesessenen Güterslohern – neu war: Reichsbischof Müller, eine der führenden Gestalten der „Deutschen Christen“, stammte aus Gütersloh. Er war zunächst Schüler, dann Alumnatsinspektor und später Lehrvikar am Evangelisch Stiftischen Gymnasium (ESG). 1925 nutzte das spätere NSDAP-Mitglied ein Sommerfest der Schule für eine „von blankem Hass auf Juden und Judentum“ diktierte Rede. Trotz des Protests jüdischer Bürger habe sich der damalige Direktor Dr. Friedrich Fliedner nie öffentlich von den „infamen Anschuldigungen“ distanziert. Auch seitens der Evangelischen Kirchengemeinde sei keine Reaktion bekannt.

 

Es gehe ihm nicht um ein „heute wohlfeiles Verdammungsurteil über einen Toten“, betonte Wischnath, der selbst das ESG besucht hat, sondern darum, „die Verführbarkeit der Kirche, unsere Verführbarkeit, meine Verführbarkeit durch den so genannten Zeitgeist“ darzulegen. Mit Hochachtung erinnerte er an den ESG-Pfarrer Wilhelm Florin (1894-1944), der als Mitglied der Bekennenden Kirche „die Gefährdung von Leib und Leben auf sich genommen“ habe. Seine Forderung „Es müsste und sollte endlich einmal eine Straße in Gütersloh nach ihm benannt werden“, erntete spontanen Applaus.

 

1934 verabschiedete die erste Bekenntnissynode in Barmen die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche“. In sechs Thesen grenzt sie sich von den Deutschen Christen ab und weist die Ansprüche des nationalsozialistischen Staates auf die Kirche zurück. Wischnath: Es war ein zweiter Pfingsttag, so können wir heute sagen.“ Gemeinsam mit den Hörern ging er die Erklärung These für These durch und legte ihre Bedeutung für die Gegenwart dar. Die Rückbesinnung auf Jesus Christus als ihre Mitte tue auch der heutigen Kirche gut. Sie helfe, „vor den Antworten auf die vielen Probleme von der Gen-Technologie bis zur Klimaveränderung, von der neoliberalen, kapitalistischen Wirtschaftsordnung bis zur Terrorbekämpfung, von der Atombombe bis zur Bundewehr in Afghanistan erst einmal die richtigen Fragen zu stellen.“ Ebenso bewahre sie vor totalitären Ansprüchen der Politik wie vor Sorge um die Zukunft der Kirche selbst. Außerdem unterstreiche sie, „dass es keine Herrschaftsbefugnisse und Führer im Dienst der Kirche gibt.“

 

Ein hoffnungsvolles Zeichen sah Wischnath im bescheidenen Auftreten von Papst Franziskus. Sein apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ (Die Freude des Evangeliums, November 2013) mit seiner scharfen Kritik an „einer Wirtschaft der Ausschließung“ und „Vergötterung des Geldes“ sei überraschend „evangelisch und barmensisch“.

 

Nach dem rund einstündigen Vortrag diskutierten die Anwesenden angeregt das Gehörte.

kj